Vor 85 Jahren eröffnet das Kino am Friedrichplatz, die spätere „Filmbühne“. Ein Wahlleipziger entwirft das heute denkmalgeschützte Gebäude. Doch wer ist dieser Mann überhaupt?
Er gilt als „malender Architekt“ und ist beispielsweise wegen seiner grafischen Stadtansichten bekannt, die noch heute auf Online-Marktplätzen oder Kunstauktionen Käufer finden. Gemeint ist der Wahlleipziger Max Schnabel, der die Messestadt an vielen Orten mit dem Zeichenstift festhält. Dazu gehören der Burgplatz am Neuen Rathaus und die Thomaskirche, aber auch das von 1954 bis 1960 neu entstandene Opernhaus am Karl-Marx-Platz (heute: Augustusplatz).
Ob er sich damals als Architekt am Wettbewerb zum Neubau beteiligt, ist nicht überliefert. Erfahrung als Baumeister hat der am 23. Juni 1903 auf der Festung Königstein geborene Schnabel. Nach einem Architekturstudium an der Sächsischen Staatsbauschule Leipzig und Technischen Hochschule Dresden lässt er sich 1931 als freischaffender Architekt in Leipzig nieder. Plant dort neben Wohnbauten (z. B. 1936/37 in Leipzig, Dresdner Straße, ein Mehrfamilienhaus, neben dem Kino „Regina-Palast“, vgl. Zeh 2007, S. 316; auch Alle Kinos) auch öffentliche Einrichtungen wie Kinderheime oder Lichtspielhäuser, zum Beispiel in Torgau.
„Theater am Friedrichplatz“ 1939 eingeweiht
Hier verantwortet er 1938/39 den Neubau eines modernen Filmtheaters im Zentrum der Kleinstadt, genau gesagt am repräsentativen Friedrichplatz (den in der Mitte ein Standbild Friedrich des Großen ziert). Dabei bedient er zwar einerseits eine NS-ästhetische Formensprache, wenn er die äußere Fassade (Fenster, Türen) und das zurückgesetzte Eingangsportal des Kinos sowie die beiden Ausgänge mit strengen, strebenden Vertikalen versieht.
Andererseits zeigt Schnabel, der sich das Malen autodidaktisch beibringt, bei Alois Kolb (1875–1942) an der Staatlichen Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig studiert und als 24-Jähriger in der altehrwürdigen Leipziger Galerie Del Vecchio impressionistische Landschaftsbilder ausstellt, dass er eine Vorliebe für künstlerische (Farb-)Details besitzt. Gemeint ist hier z. B. das sogenannte Sgraffito über dem Nebeneingang des „Theater am Friedrichplatz“ (später: „Filmbühne“), das am 21. Oktober 1939 offiziell eingeweiht wird.
Diese Art der Fassadenmalerei, bei der die Zeichnung in eine feuchte Putzschicht eingeritzt wird, spielt hier thematisch mit Kunst und Theater, wenn das Sgraffito u. a. eine antike Göttin mit Lyra zeigt. Es könnte die Terpsichore darstellen, eine der neun Musen, die für Tanz und Chorgesang steht. Was wiederum einen Bezug zum Kinosaal schafft, in dem Schnabel eine geschwungene Bühne für Kleinkunstdarbietungen einbaut, die mit farbigem Licht angestrahlt werden kann (vgl. Film-Kurier, 15.11.1939, S. 4; auch Zeh 2007, S. 374).
„Kunstausstellung der SA“ in Dresden (1942)
Schnabels malerisch-künstlerische Fähigkeiten bleiben den NS-Kulturfunktionären nicht verborgen. Auch weil er als Mitglied der NSDAP (eingetreten: 1.5.1931, Mitglied-Nr.: 529363, vgl. BArch, NSDAP-Mitgliederkartei) offenbar gut vernetzt ist. Deshalb verwundert es kaum, dass seine grafischen Werke und ab den 1940er-Jahren seine Ölgemälde im „Dritten Reich“ oft in Ausstellungen zu sehen sind, beispielsweise 1942 und 1943 in der „Großen Leipziger Kunstausstellung“ (Museum der Bildenden Künste, vgl. Kataloge 1942, S. 18; 1943, S. 17). Ihr Name erinnert an die „Große Deutsche Kunstausstellung“ (1937–1944) in München, die als wichtigste Bühne für die offizielle Kunst des Nationalsozialismus gilt.
Als Mitglied des Sächsischen Kunstvereins, aber vor allem der Sturmabteilung (SA), der paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP, sind Max Schnabels Werke auch auf deren Ausstellungen vertreten, wie in Dresden („Kunstausstellung der SA“, 3.10.–15.11.1942, vgl. Gerstner 1942, S. 28; Katalog, S. 14). Doch obgleich „[a]n den Künstler, der in der SA marschiert, […] besondere Anforderungen“ gestellt werden, die „eine soldatische Haltung in seiner Persönlichkeit und in seinen Werken“ verlange (Klähn 1938, S. 24), muten Schnabels Ölbilder hier eher neutral an, obgleich Sujet (Naturlandschaften, wie „Landschaft bei Papitz“, Nr. 116; „Waldinneres“, Nr. 117) und Stil (19. Jahrhundert) sich mit den NS-Anforderungen decken und systemstabilisierend wirken.
Zwischen Freiberuflichkeit und Gängelei in der DDR
Nach dem Ende Hitler-Deutschlands, das er in Kriegsgefangenschaft erlebt, gehört er – trotz seiner früheren Nähe zum NS-Regime – zu den Künstlern, die maßgeblich den Wiederaufbau in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und späteren DDR (Leipzig, Dresden, Magdeburg) prägen. So verfasst er „für eine Reihe maßgeblicher Wettbewerbe erfolgreiche Entwürfe“ (Klingner 1962; auch Vollmer 1955, S. 402).
Doch der berufliche Übergang in die ‚neue Zeit’ bringt für den freiberuflichen Architekten Max Schnabel anfangs auch Unwägbarkeiten mit sich. Nur die volkseigenen Entwurfsbetriebe gelten „als wesentliche Bausteine einer sozialistisch-demokratischen Erneuerung“, im Gegensatz zum freien Architektenberuf, der noch „dem überwundenen kapitalistischen System zugerechnet“ wird (Zervosen 2016, S. 57). Das bedeutet oft den Entzug von Aufträgen für Freiberufler.
Schnabel wendet sich 1951 sogar an den Minister für Aufbau der DDR, Lothar Bolz (1903–1986), und offenbart in einem Brief schonungslos seine angespannte Lage: „Wenn man wiederholt bewiesen hat, dass man als Architekt u. Städtebauer etwas zu sagen hat und nun [wegen fehlender Aufträge] zusehen muss, das richtet, abgesehen, daß man 6 Menschen zu ernähren hat, seelisch zu Grunde“ (ebd. S. 61).
Renommierte Verlage, wichtige Museen in Leipzig
Dennoch besinnt sich die DDR später immer wieder auf Schnabels Werke, wenn z. B. der seit 1952 volkseigene Seemann-Verlag (Leipzig) zwölf Reproduktionen von Originalgrafiken veröffentlicht: Es sind „Leipziger Stadtansichten“ (1957) der Vorkriegszeit, die sich in einer aufwändig gearbeiteten Schmuckkassette befinden. Zudem erscheinen 1962 unter dem Titel „Motive aus Leipzig“ sechs großformatige Original-Lithografien in einer streng limitierten Auflage.
Auch in öffentlichen Museen, wie dem Museum der Bildenden Künste zu Leipzig (1948 und 1958 mit Bruno Eyermann) – in dem er ja bereits 1942 und 1943 ausstellte – sowie im Kunsthandel sind seine Öl- und Grafikarbeiten zu sehen und zu kaufen, z. B. 1964 und 1973 in der Galerie „Wort und Werk“ in Leipzig (vgl. Neue Zeit, 16.1.1964, S. 4; 16.8.1973, S. 4).
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Im Frühjahr 1985, anderthalb Jahre vor Max Schnabels Tod, zeigt die „Kleine Galerie“ in der Leipziger Handelshochschule noch einmal rund 120 Werke, in denen sich der Künstler vorwiegend mit dem Neuaufbau in der Messestadt auseinandersetzt (vgl. Neues Deutschland, 30.3.1985, S. 4). Dennoch bleibt ein großer Nachruf auf den Leipziger Künstler († 21.10.1986) in den DDR-Medien aus.
Letztlich bleibt Max Schnabel – vor dem Hintergrund seiner Biografie – ein widersprüchlicher Maler, Grafiker und Architekt, der einerseits mit seiner Stellung in der NS-Kulturpolitik Fragen aufwirft, andererseits mit seinen gezeichneten Stadt- und Naturlandschaften sowie entworfenen Bauwerken die regionale Kunst im 20. Jahrhundert maßgeblich mitprägt.
Verwendete Quellen:
- B. M.: Ein malender Architekt. Arbeiten von Max Schnabel bei „Wort und Werk“. In: Neue Zeit 29 (1973), Nr. 192, 16.8.1973, S. 4.
- C. R.: Neu- und Umbauten. Theater am Friedrichplatz in Torgau. In: Film-Kurier 21 (1939), Nr. 267, 15.11.1939, Ausgabe: T, S. 4.
- Gerstner, Günther: Künstler der SA stellten in Dresden aus. In: Der SA-Führer. Zeitschrift der SA-Führer der NSDAP 7 (1942), Dezember 1942, H. 12, S. 27f.
- Katalog: Große Leipziger Kunstausstellung 1942. Unter der Schirmherrschaft des Reichsstatthalters und Gauleiters Martin Mutschmann. Im Museum der Bildenden Künste vom 1. November 1942 bis 3. Januar 1943. Leipziger Verlagsdruckerei GmbH vorm. Fischer & Kürsten, 1942 (Schnabel, Max: Nr. 227, Selbstbildnis, Öl; Nr. 228, Oberfränkische Landschaft, Öl; S. 18)
- Katalog: Große Leipziger Kunstausstellung 1943. Unter der Schirmherrschaft des Reichsstatthalters und Gauleiters Martin Mutschmann. Im Museum der Bildenden Künste vom 24. Oktober 1943 bis 2. Januar 1944. Leipziger Verlagsdruckerei GmbH vorm. Fischer & Kürsten, 1943 (Schnabel, Max: Nr. 296, Der Raucher, Öl; Nr. 297, Nach dem Gewitter, Öl; Nr. 298, Landschaft bei Lützschena, Bleistift; S. 17)
- Katalog: Kunstausstellung der SA in Dresden 1942. Gemälde, Plastik, Aquarelle, Graphik. Veranstaltet vom Landeskulturverwalter Gau Sachsen. 3. Oktober–15. November. In den Ausstellungsräumen Brühlsche Terrasse. Hrsg. vom Landeskulturverwalter Sachsen. Dresden: Buchdruckerei C. Heinrich. 1942 (Schnabel, Max, Leipzig: Nr. 116, Landschaft bei Papitz, Öl; Nr. 117, Waldinneres, Öl; S. 14)
- Klähn, Friedrich Joachim: Der Künstler als SA-Mann. In: Der SA-Führer. Zeitschrift der SA-Führer der NSDAP 3 (1938), Mai 1938, H. 5, S. 24–28.
- Klingner, D.: Biografie. In: Schnabel, Max: Motive aus Leipzig. Original-Lithographien. Text: D. Klingner. Leipzig, 1962
- NSDAP-Zentralkartei, Details (Schnabel, Max). In: NSDAP-Mitgliederkartei, BArch R 9361-VIII KARTEI / 20180568; NSDAP-Gaukartei (Schnabel, Max). In: NSDAP-Mitgliederkartei, BArch 9361-IX KARTEI / 38640706
- Plakat: „Kunstausstellung der SA in Dresden“. In: Hoover Institution Library & Archives (abgerufen: 15.10.2024)
- Regina-Palast, Leipzig-Reudnitz, Dresdner Straße 56. In: Alle Kinos. Filmtheatergeschichte in Deutschland, Österreich und der Schweiz (abgerufen: 15.10.2024)
- Schnabel, Max: 1903–1986. Maler Grafiker, Architekt. In: Deutsches Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum (abgerufen: 13.11.2024)
- Schnabel, Max: Burgplatz und Neues Rathaus (1967). In: Kunstfreund (abgerufen: 15.10.2024)
- Schnabel, Max. In: Digiporta – Digitales Porträtarchiv (abgerufen: 15.10.2024)
- Schnabel, Max: Elsteraue (1947). In: Kunstauktionshaus Schloss Alden (abgerufen: 15.10.2024)
- Schnabel, Max. In: Vollmer, Hans: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler des 20. Jahrhunderts. Band 6. Unveränderter Nachdruck der Originalausgabe Leipzig 1953. Leipzig: E. A. Seemann, 1999, S. 402.
- Schnabel, Max. In: Eisold, Dietmar (Hrsg.): Lexikon. Künstler in der DDR. Berlin: Neues Leben, 2010, S. 842.
- Schnabel, Max: Leipziger Stadtansichten. 12 Reproduktionen nach Originalen. Text: Heinrich Wichmann. Leipzig: Seemann Verlag, 1957
- Schnabel, Max: Kulturnotizen. In: Neues Deutschland 39 (1985), Nr. 77, 30.3.1985, S. 4.
- T. M.: Ein Architekt griff zum Pinsel. Malerei und Grafik von Max Schnabel bei „Wort und Werk“ in Leipzig. In: Neue Zeit 20 (1964), Nr. 13, 16.1.1964, S. 4.
- Zeh, Carola: Torgau, Filmbühne. In: Lichtspieltheater in Sachsen – Entwicklung, Dokumentation und Bestandsanalyse. Hamburg, 2007, S. 374f.
- Zervosen, Tobias: Architekten in der DDR. Realität und Selbstverständnis einer Profession. Bielefeld: Transcript Verlag, 2016, S. 58f., 61.
Headerfoto: Links: Filmbühne am Martha-Brautzsch-Platz (heute: Friedrichplatz), Aufnahme: 1968, Quelle: PGH Film und Bild/Berlin/Manfred und Erdmute Bräunlich/Privat; Rechts: „Elsteraue“ (1947) von Max Schnabel, Quelle: Kunstauktionshaus Schloss Alden