Schloß Lichtenburg in Prettin gehört ab 1933 zu den ersten Konzentrationslagern in Deutschland. Eine Dokumentation rückt jetzt die dort eingesetzten SS-Wachmänner in den Mittelpunkt – deren Spuren auch nach Torgau führen.
Das digitale „Kino- und Filmmuseum Torgau“ widmet sich regelmäßig der Fernsehgeschichte und stellt historisches Filmmaterial vor, wie zum Beispiel die „Ansichtskarte: Schloß Hartenfels Torgau“ (1987), vom DDR-Fernsehen produziert und ausgestrahlt, sowie eine Folge der Reihe „Reise ohne Passierschein“ (1961), die im Auftrag der Westberliner TV-Lokalnachrichten „Berliner Abendschau“ hergestellt wurde.
Zuletzt sorgte Torgau aber in einer aktuellen „ARD History“-Dokumentation für Aufsehen, obgleich das Thema mit der Stadt erst einmal nichts gemein hatte. Dabei handelt es sich um die 90-minütige Fernsehdokumentation „Karriere im KZ – Vom Bauernsohn zum NS-Verbrecher“, produziert von Mitteldeutscher Rundfunk (MDR), Bayerischer Rundfunk (BR) und Spiegel-TV.
KZ Lichtenburg, 20 Kilometer von Torgau entfernt
Darin geht es um den 1911 geborenen Kurt Schreiber. Er wächst als Sohn eines Bauern in Mühlbeck nahe Bitterfeld und in Flemsdorf bei Leipzig auf. 1932 wird er Mitglied der nationalsozialistischen Schutzstaffel (SS) und beginnt ein Jahr später als Hilfspolizist im neu eröffneten Konzentrationslager (KZ) Schloß Lichtenburg. Das liegt mitten in der beschaulichen Kleinstadt Prettin, 20 Kilometer nördlich von Torgau. In ihm wurden von 1933 bis 1937 tausende männliche Gefangene inhaftiert und mindestens 20 ermordet. Heute befindet sich dort eine Gedenkstätte.
Die ARD-Doku zeichnet Kurt Schreibers, aber auch den beruflichen Lebensweg anderer SS-Männer nach, die mit ihm im KZ Lichtenburg in der SS-Wachmannschaft begannen und von denen später einige in anderen, größeren Konzentrationslagern Karriere machten, beispielsweise Buchenwald, Flossenbürg oder Auschwitz.
Torgauer profitierten „beruflich“ vom KZ-System
Ob zu ihnen ebenso der 1911 in Torgau geborene Paul Fetke gehörte, wissen wir nicht. Dennoch taucht sein Name auf einer SS-Karteikarte auf, die am Ende der ARD-Doku kurz eingeblendet ist (01:12:00) – als einer der SS-Wachmänner im KZ Schloß Lichtenburg. Im Frühjahr 1938 scheidet er dort aus dem aktiven SS-Dienst aus.
Das Beispiel Paul Fetke zeigt, dass auch Torgauer oder in der Elbestadt Geborene – hier beruflich – vom KZ-System profitierten, weil das Lager geografisch in der Nähe lag und gut zu erreichen war. Zudem mag es einen wirtschaftlichen Nutzen für die Stadt Torgau gegeben haben, weil Prettin damals verwaltungstechnisch zum Kreis Torgau zählte.
Fokus auf NS-Verfolgte und Elbe-Begegnung
Doch gibt es darüber kaum tiefgehende Forschungsarbeiten. Das zeigt sich auch im Zusammenhang mit anderen NS-Institutionen, die – im Gegensatz zum KZ Schloß Lichtenburg – vor den Toren bzw. in der Stadt Torgau lagen: das Reichskriegsgericht, das im August 1943 von Berlin nach Torgau verlegt wurde, sowie die Militärgefängnisse „Fort Zinna“ und „Brückenkopf“.
Einerseits gibt es seit den 1990er-Jahren eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung, die zum Beispiel die NS-Verfolgten in den Mittelpunkt rückt. Darunter zählen Deserteure und andere Angehörige des Widerstands gegen das NS-Regime, die in Torgau abgeurteilt, inhaftiert, gefoltert oder getötet wurden. Aktuell zeigt das der Erinnerungsort Torgau (vormals: DIZ Torgau), der zur Stiftung Sächsische Gedenkstätten zählt, besonders eindrücklich in seiner neuen Dauerausstellung „Mut und Ohnmacht“, die seit 22. August 2024 im Torgauer Schloss Hartenfels zu sehen ist.
Zudem beschäftigt sich der Förderverein Europa Begegnungen e. V. seit seiner Gründung mit dem Kriegsende 1945, für das in Torgau das Zusammentreffen der sowjetischen und US-Soldaten am 25. April jenes Jahres steht. Eine Fotoausstellung in den Vereinsräumen (Schlossstraße 19, Torgau) rekonstruiert das akribisch und anschaulich.
Welchen Nutzen zog Prettin aus dem KZ?
Andererseits ist Torgau aber gleichermaßen eine Stadt, die mutmaßlich durch NS-Unrechtsinstitutionen, beispielsweise dem KZ Schloß Lichtenburg, wirtschaftlich und gesellschaftlich ihren Nutzen zog. Der Göttinger Historiker Stefan Hördler, der für die ARD-Doku „Karriere im KZ“ forschte, wies für die Stadt Prettin auf diesen besonderen Umstand hin:
„1936 waren im KZ Lichtenburg gleichzeitig 700 SS-Männer stationiert, bei einer Einwohnerzahl in Prettin von rund 2000. Das heißt, dieses KZ prägte den Ort […] Es gab lokale Unternehmen, die das KZ beliefert haben: Lebensmittel, Handwerksbetriebe. Und gleichzeitig müssen Häftlinge Zwangsarbeit in der Stadt leisten. Zum Beispiel bei der Anlage des Stadtparks“, so der Historiker (vgl. Stutte 2024).
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Ähnliche Überlegungen wären für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Torgau hilfreich, zum Beispiel in Hinblick auf das KZ Schloß Lichtenburg, aber auch das Reichskriegsgericht und die Militärgefängnisse. Ein Grund: Sie eröffnen neue Blickwinkel auf den lokal geprägten Nationalsozialismus und hinterfragen damalige Alltags-, Behörden- und Wirtschaftsstrukturen in einem Ort, der wie alle Städte und Kommunen reibungslos im NS-Uhrwerk funktionierte. Und zu dem auch der SS-Wachmann Paul Fetke aus Torgau gehörte.
Die Dokumentation „Karriere im KZ – Vom Bauernsohn zum NS-Verbrecher“ ist in der ARD-Mediathek zu sehen.
Besonderer Dank an die Deutsche Fotothek für die Genehmigung der Fotonutzung (Schloß Lichtenburg).
Verwendete Quellen:
- „Karriere im KZ – Vom Bauernsohn zum NS-Verbrecher“ (Trailer). In: YouTube-Kanal MDR Mitteldeutscher Rundfunk (abgerufen: 28.11.2024)
- Pressemitteilung: ARD History Dokumentation und MDR-Podcast: Neue Erkenntnisse zu bisher unbekannten SS-Netzwerken in Mitteldeutschland. In: Presseportal (vom: 19.8.2024, abgerufen: 28.11.2024)
- Pressemitteilung: Festakt zur Eröffnung der neuen Dauerausstellung „Mut und Ohnmacht“ des Erinnerungsortes Torgau am 22. August 2024. In: Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft (vom: 15.8.2024, abgerufen: 28.11.2024)
- Stutte, Harald: Altes Fotoalbum eines SS-Mannes aufgetaucht. Lichtenburg: Die Kaderschmiede der späteren KZ-Kommandanten. In: RedaktionsNetzwerk Deutschland (vom: 8.9.2024, abgerufen: 28.11.2024)
Headerfoto: Schloß Lichtenburg, Haupthof nach Westen (Aufnahme: 1981) / © Deutsche Fotothek/Christine Staab