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Reise ohne Passierschein: Torgau (BRD/Westberlin 1961)

Schloss Hartenfels in Torgau mit Aussichtsturm / Foto: Steffen Gericke/pixelio.de

Der in Westberlin ansässige, öffentlich-rechtliche Sender Freies Berlin (SFB) produziert Anfang der 1960er-Jahre die Fernseh-Doku-Reihe „Reise ohne Passierschein“ im Auftrag der Westberliner TV-Lokalnachrichten „Berliner Abendschau“. Insgesamt 21 Einzelbeiträge werden damals ausgestrahlt.

In den jeweils vier- bis siebenminütigen Reise-Dokumentationen werden sowohl Städte in der „Zone“ – so die westdeutsche Bezeichnung für die DDR, weil die BRD diese als Staat nicht anerkennt – als auch Naherholungsgebiete oder Kurbäder im Osten Deutschlands vorgestellt. Dabei zeigen die Filmemacherinnen und -macher historische Sehenswürdigkeiten, aber auch den (Nachkriegs-)Zustand von Sakral- und Profanbauten, wie Kirchen und Schlösser, sowie den Alltag der Menschen auf den Straßen.

Die Schwarzweiß-Aufnahmen werden von klassischer Musik und einem sogenannten Off-Kommentar begleitet, d. h. vom gesprochenen Text einer Person, die nicht im Bild zu sehen ist. Dieser Text gibt den Zuschauerinnen und Zuschauern erklärende Hintergrundinformationen, die zum Teil deutlich ideologisch gefärbt sind. Grund hierfür ist die angespannte politische Lage bzw. der ‚Kalte Krieg’ zwischen Ost und West in den 1950er- und 1960er-Jahren.

Reise ohne Passierschein: Torgau im SFB

Am 4. Januar 1961 zeigt der SFB die Folge „Reise ohne Passierschein: Torgau“. Der Kurzfilm über die Stadt in der „Zone“ beginnt mit einem Kameraschwenk über die Dächer der Altstadt. Dieser wird vermutlich von der Aussichtsplattform des Hausmannsturms im Schloss Hartenfels aufgenommen.

Danach zeigt die Doku das Rathaus am Markt aus dem 16. Jahrhundert, „zu einer Zeit, da die Stadt als kurfürstliche Residenz aufblühte“. Der Sprecher fügt hinzu: „Die Herren, die heute in dem Gebäude residieren, ließen die Renaissancefassade kalkweiß übertünchen. Nur der Erker blieb unverändert erhalten.“ Zu diesem Zeitpunkt ist die Rathausfassade noch im Zustand nach dem großen Umbau von 1874: mit Pilastern (Wandpfeiler) und Dreiviertelsäulen. Erst Anfang der 1970er-Jahre erhält das Gebäude seine heutige Gestalt zurück.

Vom Haus der guten Kleidung zum Lebensmittel-Konsum

Nun widmet sich die Kamera dem Marktplatz mit dem „Haus der guten Kleidung“, der „Mohren“-Apotheke, dem Hotel „Goldener Anker“, der „Löwen“-Apotheke sowie dem Konsum „Lebensmittel“ an der Leipziger Straße/Ecke Fischerstraße, der bis nach der Wende 1989/90 dort existiert.

Was auffällt, ist ein geschäftiges Treiben auf den Torgauer Geschäftsstraßen, in denen einige Pkw und Kleinkrafträder zu sehen sind. Das gilt auch für die Spitalstraße, die die Kamera mit dem Blick stadtauswärts aufnimmt.

Im Gegensatz dazu wirkt das enge „winklige Viertel der Altstadt“ mit seinen bröckelnden Hausfassaden wie aus der Zeit gefallen. Gezeigt werden kleinere Nebenstraßen mit dicht an dicht stehenden Gebäuden. Das wird vor allem damit begründet, dass Torgau „nach dem Willen Napoleons in Festungsmauern eingezwängt war“.

Lutherhaus – „die zweite Heimat“ des Reformators?

Die Westberliner Reise-Doku stellt auch die kulturgeschichtliche Bedeutung des Lutherhauses (Friedrichplatz/Ecke Wittenberger Straße) heraus, wobei der Sprecher fälschlicherweise erklärt, dass das Gebäude „die zweite Heimat Martin Luthers“ war und der Reformator dort die „Torgauer Artikel“ verfasste.

Vielmehr sollen diese theologischen Gutachten über kirchliche Zeremonien im Haus der Alten Superintendentur (Wintergrüne 2) erarbeitet worden sein. Zudem soll Luthers Frau Katharina von Bora „in den Räumen die letzten Jahre ihres Lebens“ verbracht haben. Sie starb am 20. Dezember 1552 aber nicht im Lutherhaus, sondern in der heutigen Katharinenstraße 11.

Anschließend ist die Westturmfront der Stadtkirche St. Marien von der Pfarrstraße sowie die Außenfassade von der Ritterstraße zu sehen – „in der die Lebensgefährtin des Reformators ihre letzte Ruhe“ fand. Zudem erfahren die Zuschauerinnen und Zuschauer, dass hier der Komponist und Kantor „Johann Walter wirkte, der Herausgeber des ersten evangelischen Gesangbuches. Die Lieder und Choräle des neuen Glaubens klangen von dieser Kirche aus in alle Lande“. Das Hervorheben der Bedeutung von Walter war zweifellos ein Seitenhieb auf die SED-Machthaber in der DDR, die (evangelische) Christen systematisch diskriminierten und vor Repressionen nicht zurückschreckten.

Schloss Hartenfels und Denkmal der Begegnung

Danach hebt die Doku in Wort und Bild mit vielen Kameraaufnahmen das Schloss Hartenfels hervor. Das Kurfürstlich-sächsische Wappen über dem Haupteingangstor, der Innenhof mit Schönem Erker, der Große Wendelstein sowie das Bärenfreigehege im Schlossgraben werden gezeigt.

„Ein Denkmal der jüngsten Vergangenheit steht auf dem Platz der Begegnung“, so anschließend der Sprecher – gemeint ist das heutige Denkmal der Begegnung (Elbstraße 17), das sich in unmittelbarer Nähe vom Schloss befindet. „Hier an der Elbe verband sich am 25. April des Jahres 1945 die Truppe der ersten ukrainischen Front der Roten Armee mit den amerikanischen Truppen.“

Am Ende schließt der westdeutsche Sprecher mit den Worten: „Der Elbestrom bringt uns Grüße aus Torgau, aus einer deutschen Stadt, die für uns seit 15 Jahren hinter Stacheldraht liegt.“

Dokumentation: „Reise ohne Passierschein: Torgau“ (BRD/Westberlin, 1961, Regie: [unbekannt]).

Filmbeitrag: In der ARD-Mediathek abrufbar. Hier klicken

Drehorte: u. a.

  • Rathaus Torgau, Markt 1, 04860 Torgau
  • Schloss Hartenfels, Schlossstraße 27, 04860 Torgau
  • Markt, 04860 Torgau
  • Spitalstraße, 04860 Torgau
  • Lutherhaus, Friedrichplatz 11, 04860 Torgau
  • Stadtkirche St. Marien, Wintergrüne 1, 04860 Torgau
  • Denkmal der Begegnung, Elbstraße 17, 04860 Torgau

Verwendete Quellen:

Eigene Recherchen

ARD-Mediathek: rbb Retro – Berliner Abendschau

Unternehmens- und Historisches Archiv | Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)

Nicht-kommerzielle Programmverwertung | Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)

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