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Torgau-Film von 1925: Welche Straßen, Plätze und Geschäfte zu sehen sind

Er gilt als einer der ersten Bildstreifen über die sächsische Kleinstadt: „Torgau an der Elbe“. Vor fast 100 Jahren kam der gut 20-minütige Stummfilm in die Kinos.

Am 17. April 1925 ist es soweit. An diesem Freitag erhält der Film „Torgau an der Elbe“ endlich die behördliche Zulassung. Jetzt darf der 22-minütige stumme Bildstreifen „zur öffentlichen Vorführung im Deutschen Reiche, auch vor Jugendlichen“ im Kino gezeigt werden. So steht es auf der damaligen Zulassungskarte, die sich im Bundesarchiv erhalten hat.

Ausgestellt ist sie von der Filmprüfstelle Berlin. Sie entscheidet – neben der Filmprüfstelle München – als regionale Zensurbehörde darüber, ob fertiggestellte Filme öffentlich aufgeführt werden dürfen oder nicht. Doch der Vorsitzende sowie vier stimmberechtigte Beisitzer haben bei „Torgau an der Elbe“ offenbar nichts zu beanstanden.

Wer produziert den Torgau-Film von 1925?

Die „Elbe-Film Gesellschaft Klar & Müller“ als Produktionsfirma darf das gefreut haben. Sie hat ihren Sitz allerdings nicht in Torgau, sondern flussabwärts in Magdeburg, genauer gesagt im südlichen Stadtteil Buckau, Dorotheenstraße 14. Der Bezirk steht damals (anders als heute) eher für den Maschinenbau; hier schlägt das Herz der Schwerindustrie. Umso mehr überrascht, dass dort eine kreative Filmproduktionsfirma Büroräume bezieht und einen Kulturfilm herstellt.

Torgau-Film von 1925: Welche Straßen, Plätze und Geschäfte zu sehen sind
Torgau an der Elbe (D 1925): Zulassungskarte vom 17.4.1925 (Seite 1, Ausschnitt) / Quelle: BArch

Dieser besteht laut Zulassungskarte aus zwei Teilen beziehungsweise Akten, die jeweils auf eine Länge von 274 Metern (ca. 10 Minuten) und 343 Metern (ca. 12 Minuten) kommen. Zwar hat sich der Film „Torgau an der Elbe“ im Bundesarchiv-Filmarchiv nicht erhalten, doch auf der Karte sind die Straßen und Plätze erwähnt, die in dem Stummfilm gezeigt werden. Ob diese auch als sogenannte Zwischentitel (Texttafeln) im Film genannt werden, ist bislang noch unklar.

Welche Orte sind in dem Bildstreifen zu sehen?

Was aber auffällt: Es sind neben öffentlichen Gebäuden vor allem bekannte, ortsansässige Kleinunternehmen und Geschäfte, die das Filmteam mit der Kamera fotografiert. Welche das im ersten Teil genau sind und welche Geschichten sich hinter den originalen Inhaltsangaben (hier: fettgedruckt) verbergen, soll an dieser Stelle nachgezeichnet werden:

1. Bahnhof

Der Film beginnt mit Kameraaufnahmen des 1872 erbauten Torgauer Bahnhofes, der damals pünktlich zum Eisenbahnanschluss an die Strecke Halle–Cottbus fertiggestellt wurde. Das Gebäude ist im Zeitalter der Mobilität das neue Eingangstor in den Ort – auch weil die historischen Stadttore zu dieser Zeit ihre Bedeutung schon längst verloren haben bzw. abgerissen wurden. Dennoch wird im Jahr 2021 auch das baukulturell und stadtgeschichtlich wichtige Bahnhofsgebäude – fast 150 Jahre nach seiner Eröffnung – abgerissen. Seitdem befindet sich dort ein einstöckiger Neubau.

Bahnhof Torgau (Aufnahme: 1965) / Foto: Rudolf Kampmann/Bild und Heimat
Bahnhof Torgau (Aufnahme: 1965) / Foto: Rudolf Kampmann/Bild und Heimat

2. Spitalstraße

Am Ende der Spitalstraße stand eines dieser wichtigen Stadttore: das Spitaltor. Als „Torgau an der Elbe“ im Jahr 1925 entsteht und die Straße gefilmt wird, erinnert allerdings nur noch der Straßenname an den einstigen Zugang in die Stadt. Dennoch bleibt das Spitaltor in späteren Jahren ein beliebtes Motiv, zum Beispiel auf Wandtellern.

Wandteller (1973, VEB Steingutwerk Torgau): 1000 Jahre Stadt Torgau. Das Spitaltor um 1807 / Quelle: Privatbesitz
Wandteller (1973, VEB Steingutwerk Torgau): 1000 Jahre Stadt Torgau. Das Spitaltor um 1807 / Quelle: Privatbesitz

3. Roßschlächterei mit Kraftbetrieb. Speise- und Gastwirtschaft Emil Dargatz

Zu dieser Zeit gehört die Spitalstraße aber zu den wichtigsten Torgauer Geschäftsstraßen. In der Nummer 13 befindet sich zum Beispiel die Roßschlächterei von Emil Dargatz. Der Verkauf von Pferdefleisch und Pferdewurst ist damals ein einträgliches Geschäft, sodass Dargatz eine Gaststätte im selben Haus eröffnet. Der Film zeigt die Speise- und Gastwirtschaft. Hier klicken und historisches Foto der „Schank- und Speisewirtschaft Emil Dargatz“ sehen.

Spitalstraße (Aufnahme: 5.4.2020) / Foto: Lutz Lange/Wikimedia Commons
Spitalstraße (Aufnahme: 5.4.2020) / Foto: Lutz Lange/Wikimedia Commons

4. Franz Böttger, Versandgeschäft und Fabrik seiner Fleisch- und Wurstwaren. Spezialität für Aufschnitt

Drei Hausnummern weiter, in der Spitalstraße 16, hat Franz Böttger sein Fleisch- und Wurstwarengeschäft. Die Inhaltsangabe auf der Zulassungskarte gleicht einem Werbeeintrag, weil seine Waren als „Spezialität für Aufschnitt“ gelobt werden. Das macht deutlich, dass der „Elbe-Film“-Streifen auch Reklame für die ortsansässigen Kleinunternehmer machen möchte.

Spitalstraße 16 (Aufnahme: 11.7.2020) / Foto: zoegglmeyr/Mapillary/Wikimedia Commons
Spitalstraße 16 (Aufnahme: 11.7.2020) / Foto: zoegglmeyr/Mapillary/Wikimedia Commons

5. Max Kartheuser. Sattlerei, Lederwaren und Kutschgeschirre. Wittenberger[s] Straße

Die Spitalstraße kreuzt stadteinwärts die Breite Straße, die Kurstraße sowie die Wittenberger Straße. Dort in der Wittenberger Straße Nummer 2 hat Max Kartheuser sein lederverarbeitendes Gewerbe: eine Sattlerei, in der er Zaumzeug oder anderes Fahrgeschirr herstellt. Der Film „Torgau an der Elbe“ stellt auch seinen Handwerksbetrieb in einigen Bildern vor.

6. Schützenhaus

Kein Geschäftshaus, sondern eine Vergnügungsstätte für die Torgauerinnen und Torgauer ist damals das Schützenhaus (heute: Kulturhaus, Rosa-Luxemburg-Platz 16). Denn nach dem Ersten Weltkrieg eröffnet hier ein Lichtspieltheater. Die „Schützenhaus-Lichtspiele“ am damaligen Paradeplatz (später: Mackensenplatz 16) sollen sich im ersten Stock des Gebäudes befunden und etwa 200 bis 300 Sitzplätze geboten haben. Ob „Torgau an der Elbe“ im Kino des heute denkmalgeschützten Hauses gezeigt wird, kann bisher noch nicht sicher gesagt werden.

Kulturhaus (Aufnahme: 19.5.2022): Im früheren Schützenhaus befindet sich in den 1920er-Jahren ein Kino / Foto: Schlesinger
Kulturhaus (Aufnahme: 19.5.2022): Im früheren Schützenhaus befindet sich in den 1920er-Jahren ein Kino / Foto: Schlesinger

7. Marktplatz

Nur wenige hundert Meter vom Schützenhaus entfernt, die Bäckerstraße hinauf, fängt die Kamera einen der schönsten Plätze in Torgau ein: den Markt. Zum Zeitpunkt der Filmaufnahmen 1925 ist die Rathausfassade noch im Zustand nach dem großen Umbau von 1874: mit Pilastern (Wandpfeiler) und Dreiviertelsäulen. Erst in der DDR, während einer Rekonstruktion von 1971–1973, erhält das Renaissancegebäude seine heutige Gestalt zurück.

Rathaus, Markt 1 (Aufnahme: 20.9.2010) / Foto: Joeb07/Wikimedia Commons
Rathaus, Markt 1 (Aufnahme: 20.9.2010) / Foto: Joeb07/Wikimedia Commons

8. Kurt Hirschfeld, Bäckerstraße 6, Modewaren

Die Bäckerstraße ist neben der Spitalstraße eine der wichtigsten Geschäftsstraßen in Torgau. Da verwundert es kaum, dass das Filmteam auch hier dreht, zum Beispiel den Modewaren-Laden von Kurt Hirschfeld in der Bäckerstraße 6. Ist es damals eines der wenigen jüdischen Geschäfte in der Region? Dafür spricht, dass Hirschfeld als ein typischer jüdischer Familienname gilt. Zudem ist die Textilbranche zu dieser Zeit noch hauptsächlich von jüdischen Unternehmern geprägt.

Bäckerstraße 6 (Aufnahme: 26.5.2018) / Foto: Radler59/Wikimedia Commons
Bäckerstraße 6 (Aufnahme: 26.5.2018) / Foto: Radler59/Wikimedia Commons

Und: Der Torgauer Fritz Hirschfeld (1922–2009), Neffe des jüdischen Zahnarztes Kurt Behmack (1887–1962), lebt von 1936 bis 1939 bei seinem Onkel am Schlageterplatz 6 (heute: Karl-Marx-Platz). Behmack kann 1939 aus Deutschland fliehen. Im Jahr 2020 wird mit einem Stolperstein an ihn erinnert (Lesen Sie hier die ganze Geschichte). Ist Fritz Hirschfeld mit Kurt Hirschfeld verwandt? Ein Adressbuch aus dem Jahr 1939 verzeichnet neben einem Fritz Hirschfeld (Arbeiter, Kurstraße 4) auch einen Curt (sic!) Hirschfeld (Bäckerstraße 6), dessen Tätigkeit aber nur noch mit „Vertreter“ angegeben wird.

9. Adlerdrogerie, Kurstraße 1

Geht man die Bäckerstraße in Richtung Schützenhaus zurück und biegt die erste Straße links ein, kommt man in die Kurstraße. Hier wird die Adlerdrogerie mit der Kamera festgehalten, die sich im Eckhaus in der Nummer 1 befindet.

Kurstraße 1 (r., Aufnahme: 26.5.2018) / Foto: Radler59/Wikimedia Commons
Kurstraße 1 (r., Aufnahme: 26.5.2018) / Foto: Radler59/Wikimedia Commons

10. Am Marktplatz liegt … 11. … das Hotel „Goldener Anker“. Altrenommiertes Reisehotel am Platze

Die Bilder 10 und 11 zeigen nochmals den Marktplatz und das sich dort befindende Hotel „Goldener Anker“ (Markt 6). Es gilt als das älteste Hotel in Torgau, ist im Renaissancestil erbaut und erhält seinen Namen bereits im Jahr 1767. Erwähnenswert ist, dass es das einzige von mehreren Hotels in der Stadt Torgau ist, das im Film erwähnt und gezeigt wird.

Hotel "Goldener Anker", Markt 6 (r., Aufnahme: 26.5.2018) / Foto: Radler59/Wikimedia Commons
Hotel „Goldener Anker“, Markt 6 (r., Aufnahme: 26.5.2018) / Foto: Radler59/Wikimedia Commons

12. Leipziger Straße

Neben der Spitalstraße (2. Bild) entstehen auch Kameraaufnahmen von der Leipziger Straße, an deren Ende sich einst ebenso ein Zugang zur Stadt befand: das Leipziger Tor. Die Leipziger führt von der heutigen Kleinen Wallstraße direkt zum Torgauer Marktplatz.

13. Ernst Lehmann, Uhrmacher und Juwelier

In der Breite Straße fotografiert das Filmteam das Uhrmacher- und Juweliergeschäft Ernst Lehmann. Es befindet sich damals in der Hausnummer 2, direkt an der Ecke Leipziger Straße. Im Gegensatz zu anderen Geschäften überdauert der Laden bis mindestens 1939, jetzt als Uhren- und Goldwarengeschäft, wie ein damaliger Eintrag ins Torgauer Adressbuch verrät.

Breite Straße 2 (Aufnahme: 5.6.2020) / Foto: Lutz Lange/Wikimedia Commons
Breite Straße 2 (Aufnahme: 5.6.2020) / Foto: Lutz Lange/Wikimedia Commons

14. Ludwig Bücker Nflg., Pelzwaren, Hüte

Ebenso in der Breite Straße, Nummer 24, befindet sich das Geschäft von Ludwig Bücker, Nachfahren. Hier können die Torgauerinnen und Torgauer unter anderem Pelzwaren und Kopfbedeckungen, zum Beispiel zusammenfaltbare Klappzylinder (Foto), kaufen. Ob damals bereits der spätere Kürschnermeister Wenzel Zeisler das Geschäft führt, ist unklar. Wie auch immer: Die „Elbe-Film“-Produktionsfirma fotografiert den Laden 1925 für ihren Torgau-Bildstreifen.

Klappzylinder ([Jahr unbekannt], Ludwig Bücker Nachf., W. Zeisler, Torgau) / Quelle: Privatbesitz
Klappzylinder ([Jahr unbekannt], Ludwig Bücker Nachf., W. Zeisler, Torgau) / Quelle: Privatbesitz

Klappzylinder ([Jahr unbekannt], Ludwig Bücker Nachf., W. Zeisler, Torgau): Im Innenfutter steht die Vertriebsfirma / Quelle: Privatbesitz
Klappzylinder ([Jahr unbekannt], Ludwig Bücker Nachf., W. Zeisler, Torgau): Im Innenfutter steht die Vertriebsfirma / Quelle: Privatbesitz

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15. Julius Feller, Klempnermeister, Breite Str. 13. Klempnerei für Bau- und Wasser-Installation. Großes Lager in Haus- und Küchengeräten

In der Breite Straße hat auch die Firma von Klempnermeister Julius Feller ihren Sitz, genau gesagt in der Hausnummer 13. Wie schon im 4. Bild, das das Fleisch- und Wurstwarengeschäft von Franz Böttger (Spitalstraße 16) zeigt und vollmundig mit „Spezialität für Aufschnitt“ wirbt, preisen die Filmemacher hier reklamehaft ein „großes Lager in Haus- und Küchengeräten“ an. Ob die Klempnerei Feller für diese Werbung auch etwas gezahlt hat, ist allerdings nicht bekannt.

Besonderer Dank für die Unterstützung während der Recherche an Simone Tamás (Bundesarchiv).

Verwendete Quellen:

  • Adressbuch 1939 für den Kreis Torgau umfassend die Städte Torgau, Belgern, Dommitzsch, Prettin, Schildau, Gemeinde Annaburg und sämtliche Landgemeinden des Kreises. Bearbeitung, Druck und Verlag: Hoffmann & Schreyer, Torgau, Fürstenweg 11 (Stand: Januar 1939).
  • Kohlhaas, Elisabeth: Stolpersteine in Torgau verlegt. In: Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Stolpersteine in Torgau verlegt (vom: 27.2.2020, abgerufen: 1.8.2023)
  • Linkner, Ulrich: Einführung. In: Torgau. Mit Fotos von Charlotte und W. Gerhard Heyde. Leipzig, 1980.
  • Meyer, Heinz-Hermann: Filmprüfstelle. In: Lexikon der Filmbegriffe (zuletzt geändert: 10.3.2022, abgerufen: 1.8.2023)
  • Zulassungskarte, Prüf.-Nr. 10305: Torgau an der Elbe. In: Bundesarchiv
  • [o. A.]: Torgau/Elbe: Petition zum Erhalt des historischen Bahnhof Torgau von 1872. In: Industriekultur. Magazin für Denkmalpflege, Landschaft, Sozial-, Umwelt- und Technikgeschichte (vom: 5.1.2021, abgerufen: 1.8.2023)
  • [o. A.]: Dr. Kurt Behmack, Karl-Marx-Platz 6. In: Stolpersteine Torgau (abgerufen: 1.8.2023)


Headerfoto: Torgau an der Elbe (D 1925): Zulassungskarte vom 17.4.1925 (Seite 1, Ausschnitt) / Quelle: BArch

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