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Stadtfilm Torgau (1925): In diesem Kino fand die Vorführung statt

Er gilt als einer der ersten Bildstreifen über die sächsische Kleinstadt. Vor 100 Jahren lief der gut 20-minütige Stummfilm in Torgau an. Doch die damit verbundenen hochfliegenden Pläne erfüllten sich nicht ganz.

Im Jahr 2023 entdeckten wir im Bundesarchiv in Berlin die Zulassungskarte für den Stummfilm „Torgau an der Elbe“ von 1925: das wahrscheinlich erste Stadtporträt über Torgau. Die Magdeburger Firma „Elbe-Film Gesellschaft Klar & Müller“ hat es produziert.

Torgau an der Elbe (D 1925): Zulassungskarte vom 17.4.1925 (Seite 1) / Quelle: BArch
Torgau an der Elbe (D 1925): Zulassungskarte vom 17.4.1925 (Seite 1) / Quelle: BArch

Torgau an der Elbe (D 1925): Zulassungskarte vom 17.4.1925 (Seite 2) / Quelle: BArch
Torgau an der Elbe (D 1925): Zulassungskarte vom 17.4.1925 (Seite 2) / Quelle: BArch

Anhand der zweiseitigen Karte konnten wir die Straßen und Plätze, öffentlichen Gebäude und privaten Geschäfte, aber auch Sehenswürdigkeiten zurückverfolgen, die damals mit der Kamera festgehalten wurden. (Lesen Sie hier die ganze Geschichte.)

Große Werbeanzeige in „Torgauer Zeitung“

Unklar war bisher, ob der Film auch in der Stadt im Kino anlief, in der er gedreht wurde. Ein Blick in die altehrwürdige „Torgauer Zeitung“ von 1925, die damals bereits im 109. Jahrgang erschien, hat jetzt diese Frage mit einem „Ja“ beantwortet – zugleich aber gezeigt, dass sich die damit verbundenen hochfliegenden Pläne nicht ganz erfüllt haben.

Alles beginnt am 23. Januar 1925. An diesem Tag schaltet die Produktionsfirma ein sehr großes Werbeinserat im Anzeigenteil der „Torgauer Zeitung“ mit folgendem Wortlaut:

Stadtfilm Torgau

Nach dem Vorbild anderer Städte wird von der Elbe-Filmgesellschaft Magdeburg

ein Stadtfilm in Torgau hergestellt. In diesem werden die Sehenswürdigkeiten, Geschäftshäuser, Landwirtschaften, Industrie und andere Betriebe aufgenommen.

Der Film läuft in den Schützenhaus-Lichtspielen während der Dauer von 8 Wochen, außerdem 20 Kilometer im Umkreis von Torgau.

Der Film ist nicht nur ein Naturfilm, sondern ein ausgezeichneter Werbefilm für alle Gewerbetreibenden und Geschäftsleute.

Die geehrten Geschäftsleute werden von unseren Vertretern besucht. Auskünfte täglich von 1–3 Uhr im Hotel „Goldener Anker“ bei Herrn Knappe, Leiter der Werbeorganisation.

Elbe-Film-Gesellschaft
Inh.: Klar & Müller, Magdeburg.

Was gleich auffällt: Der geplante Stadtfilm soll eine Mischung aus Kulturfilm (so heißen ab den 1920er-Jahren dokumentarische Formate), Werbefilm und Industriefilm werden.

Ist Kinowerbung eine gute Investition?

Zudem hat die Produktionsfirma offenbar eine externe Werbeagentur angeheuert: Sie logiert im ersten Hotel der Stadt („Goldener Anker“, Markt 6) und soll vor Ort Geschäftskunden akquirieren, die sich und ihre Gewerbe vor der Kamera präsentieren. Die damit verbundenen Werbeeinnahmen sollen anscheinend den Stadtfilm (mit)finanzieren. Preise sind nicht genannt.

Torgauer Markt (1904): Das Hotel „Goldener Anker“ (3. v. r.) / © Deutsche Fotothek/Brück und Sohn
Torgauer Markt (1904): Das Hotel „Goldener Anker“ (3. v. r.) / © Deutsche Fotothek/Brück und Sohn

Hotel "Goldener Anker", Markt 6 (r., Aufnahme: 26.5.2018) / Foto: Radler59/Wikimedia Commons
Hotel „Goldener Anker“, Markt 6 (r., Aufnahme: 26.5.2018) / Foto: Radler59/Wikimedia Commons

Dennoch spricht der Vorteil für sich: achtwöchige Werbung im Film für das Unternehmen im Torgauer Kino „Schützenhaus-Lichtspiele“ (heute: Kulturhaus Torgau, Rosa-Luxemburg-Platz 16) und im näheren Umland. Gleichwohl betreten die Geschäftsleute auch Neuland: Bisher werben sie vor allem in der „Torgauer Zeitung“ mit z. T. ganzseitigen Anzeigen. Ist Kinowerbung eine gute Investition?, denken sicher manche und sind skeptisch.

Drehzeit ist im Februar und März 1925

Am 28. Februar 1925 schaltet die Produktionsfirma nochmals ein Werbeinserat im Anzeigenteil – diesmal schon deutlich kleiner:

Stadtfilm Torgau

Die letzten Aufnahmen finden statt: Mittwoch, den 4. bis Freitag, den 6. März 1925.

Interessenten, die noch aufgenommen werden möchten, bitten wir, Nachricht nach Hotel „Goldener Anker“ zu geben.

Elbe-Film-Gesellschaft
Inh.: Klar und Müller, Magdeburg

Damit wird deutlich, dass die Filmaufnahmen im Februar und Anfang März 1925 stattfinden – also in einer eher schmuddeligen (Jahres-)Zeit, in der keine blühenden Blumenkästen auf Fensterbrettern stehen, die Bäume kein Laub tragen oder die Torgauerinnen und Torgauer nicht vor Cafés sitzen. Eine suboptimale Drehzeit für einen „Naturfilm“, wie es in der ersten Annonce vom Januar heißt.

Mögliche Uraufführung am 24. April 1925

Am 17. April 1925 wird der „Bildstreifen“ von der Filmprüfstelle Berlin offiziell (auch für Jugendliche) zugelassen. Sie entscheidet – neben der Filmprüfstelle München – als regionale Zensurbehörde darüber, ob fertiggestellte Filme öffentlich aufgeführt werden dürfen oder nicht.

Schützenhaus (1906): Ab 1924 mit Lichtspieltheater / © Deutsche Fotothek/Brück und Sohn
Schützenhaus (1906): Ab 1924 mit Lichtspieltheater / © Deutsche Fotothek/Brück und Sohn

Kulturhaus (Aufnahme: 19.5.2022): Heute ein Veranstaltungsort ohne Kino / © Schlesinger
Kulturhaus (Aufnahme: 19.5.2022): Heute ein Veranstaltungsort ohne Kino / © Schlesinger

Nur sieben Tage später, am 24. April 1925, steht der „Stadtfilm Torgau“ – so der offizielle Titel – das erste Mal im „Tageskalender“ der „Torgauer Zeitung“: Diese Rubrik ist ein täglicher Serviceteil, der auch über das Kinoprogramm informiert. Der Film startet, wie geplant, in den „Schützenhaus-Lichtspielen“. Die befinden sich im ersten Stock des „Schützenhauses“, einem Vergnügungstempel. Im „Metropol-Theater“ (Spitalstraße 32), einem zweiten Kino in Torgau, läuft er nicht.

Keine Anzeigenwerbung, keine Besprechung

Doch im Gegensatz zu anderen Spielfilmen, die in jenen Tagen in Torgau starten, wie z. B. „Die Zehn Gebote“ (USA 1923) und „Quo Vadis?“ (Italien 1924) mit dem deutschen Schauspieler Emil Jannings in der Rolle des Kaiser Nero, gibt es keine Anzeigenwerbung für den „Stadtfilm Torgau“ in der Zeitung.

Die Zehn Gebote (USA 1923): Der Monumentalfilm läuft erst zwei Jahre später in Torgau an / Quelle: Privat
Die Zehn Gebote (USA 1923): Der Monumentalfilm läuft erst zwei Jahre später in Torgau an / Quelle: Privat

Mehr noch: Der Streifen wird redaktionell nicht besprochen – im Unterschied zu allen anderen Spiel- und Kulturfilmen. Sogar das eine Woche zuvor im „Schützenhaus“ gezeigte Kinoprogramm „Kultur- und Lehrfilm. Turn- und Sportfilm“ ist in der „Torgauer Zeitung“ in einem Artikel lobend erwähnt. Obendrein läuft der „Stadtfilm Torgau“ nicht etwa in einer „Dauer von 8 Wochen“, sondern nur etwa acht Tage: 24./25. April, 27.–29. April, 1./2. Mai, 4. Mai 1925.

Laufzeit von acht Wochen – Lockangebot?

Doch gerade die auf zwei Monate anberaumte Aufführungszeit (die Geschäftsleute anlocken sollte) macht schon ein wenig stutzig. Stichproben ergeben, dass damals Filme zumeist nur eine Woche in den zwei städtischen Kinos laufen. Zwar sehen die Torgauerinnen und Torgauer ihre Heimatstadt wohl das erste Mal auf der Kinoleinwand. Doch die Kleinstadt kommt auf eine überschaubare Einwohnerzahl – nach wenigen Tagen wird das Interesse der Bevölkerung gesunken sein.

Produktionsfirma und Werbeagentur haben mitunter auch mit mehr „Gewerbetreibenden und Geschäftsleuten“ gerechnet, die für Geld ihr Geschäft filmen lassen. Insgesamt 21 Firmen kommen im „Stadtfilm Torgau“ vor, darunter die Likör-, Essig- und Fruchtsaftfabrik von Gustav Jacobitz (Spitalstraße 20), die Roßschlächterei von Emil Dargatz (Spitalstraße 13), das Hut- und Pelzwarengeschäft von Ludwig Bücker (Breite Straße 24) und die Tischlerei von Wilhelm Rentzsch (Leipziger Straße 28).

Erwähnt sind auch das „Schützenhaus“, in dem der „Stadtfilm Torgau“ anläuft, und das Hotel „Goldener Anker“, in dem das Büro der Werbeagentur eingerichtet ist (beide im ersten Akt).

Wenige Sehenswürdigkeiten

Dagegen werden nur zwei Sehenswürdigkeiten genannt: der Marktplatz (vermutlich mit dem Rathaus und seinen imposanten Bürgerhäusern) im ersten Akt und das Schlachtendenkmal auf den Süptitzer Höhen (erbaut 1860, bei Torgau) im zweiten Akt – als dort während des Siebenjährigen Krieges (1756–1763), am 3. November 1760, preußische gegen österreichische Truppen kämpften.

Was fehlt, ist zum Beispiel das Schloss Hartenfels (erbaut ab 1470, Schlossstraße 27) – bedeutender Bau der Frührenaissance –, die spätgotische Stadtkirche (erbaut ab 1190, Wintergrüne 1) oder die gut 360 Meter lange Elbbrücke mit ihren damaligen eisernen Fachwerkbögen (ab 1896) als eine Art ‚technische Sehenswürdigkeit’.

Kein Kulturfilm, aber wichtiges Filmdokument

Auch deshalb ist der „Stadtfilm Torgau“ lt. Zulassungskarte weniger ein klassischer Natur- oder Kulturfilm geworden, demnach keine „unterhaltsam verpackte, ästhetisierend aufbereitete Informationen über ‚kulturelle Themen’, die in didaktisch-feuilletonistischer Manier ein breites Publikum ansprechen sollen“ (Brunner/Wulff).

Elbbrücke mit Schloss Hartenfels (1929): Beides ist im „Stadtfilm Torgau“ nicht zu sehen / © Deutsche Fotothek/Brück und Sohn
Elbbrücke mit Schloss Hartenfels (1929): Beides ist im „Stadtfilm Torgau“ nicht zu sehen / © Deutsche Fotothek/Brück und Sohn

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Nein, es ist vielmehr ein Filmdokument, das uns heute, genau 100 Jahre später, Torgau als geschäftige Kleinstadt mit ortsansässigen Kleinunternehmen und Läden präsentieren würde. Auch wenn für den „Stadtfilm“ bislang nur die Zulassungskarte existiert, ist sie ein Mosaikstein in der Aufarbeitung der lokalen Kino- und Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Besonderer Dank für die Unterstützung während der Recherche an die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (Halle) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie an die Deutsche Fotothek (Dresden) für die Genehmigung der Fotonutzung.

Film: „Torgau an der Elbe“ (1925), Produktion: Elbe-Film-Gesellschaft Klar & Müller, Magdeburg-Buckau, Dorotheenstraße 14

Verwendete Quellen:

  • Anzeige „Stadtfilm Torgau“. In: Torgauer Zeitung 109 (1925), Nr. 20, 23.1.1925
  • Anzeige „Stadtfilm Torgau“. In: Torgauer Zeitung 109 (1925), Nr. 51, 28.2.1925
  • Brunner, Philipp/Wulff, Hans Jürgen: Kulturfilm. In: Lexikon der Filmbegriffe. Hrsg. von Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (abgerufen: 17.3.2025)
  • Tageskalender: In: Torgauer Zeitung 109 (1925), Nr. 96, 24.4.1925
  • Tageskalender: In: Torgauer Zeitung 109 (1925), Nr. 97, 25.4.1925
  • Tageskalender: In: Torgauer Zeitung 109 (1925), Nr. 98, 27.4.1925
  • Tageskalender: In: Torgauer Zeitung 109 (1925), Nr. 99, 28.4.1925
  • Tageskalender: In: Torgauer Zeitung 109 (1925), Nr. 100, 29.4.1925
  • Tageskalender: In: Torgauer Zeitung 109 (1925), Nr. 102, 1.5.1925
  • Tageskalender: In: Torgauer Zeitung 109 (1925), Nr. 103, 2.5.1925
  • Tageskalender: In: Torgauer Zeitung 109 (1925), Nr. 104, 4.5.1925
  • Zulassungskarte, Prüf.-Nr. 10305: Torgau an der Elbe (vom 17.4.1925). In: Bundesarchiv (BArch)


Headerfoto: Torgau: Paradeplatz und Schützenhaus (Aufnahme: 1906) / Foto: Deutsche Fotothek/Brück und Sohn

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