Zum Inhalt springen

Rock, Pop und Politik: Als „rund“ live aus Torgau sendete

Sie wollte das Pendant zum westdeutschen „Musikladen“ sein: die DDR-Jugendsendung „rund“. Im Sommer 1979 wurde die 71. Ausgabe aus Schloss Hartenfels direkt übertragen. Diese Bands waren dabei.

Das Wetter spielt mit, an diesem Sonnabend, den 30. Juni 1979. Sonne und Wolken halten sich die Waage, und vor allem, es regnet nicht. Daran erinnert sich Karat-Gitarrist Bernd Römer heute noch genau. Der damals 26-Jährige ist seit 1976 Mitglied der DDR-Rockgruppe. Karat gehört an diesem Tag zu den nationalen Top-Bands, die live und unter freiem Himmel in Torgau auf der Bühne stehen: im offenen Innenhof von Schloss Hartenfels.

Denn genau hier, zwischen altehrwürdigen Renaissancefassaden, sendet das erste Programm des DDR-Fernsehens in einer Direktübertragung sein junges Unterhaltungsmagazin „rund“. Das gibt es seit 1973 monatlich, wird republikweit mal aus dem TV-Studio in Berlin-Adlershof, mal aus einer Turnhalle oder als Open-Air-Veranstaltung von einem Marktplatz gesendet – und ist anfangs beim jungen DDR-Publikum ausgesprochen beliebt.

„rund“ statt „Musikladen“ oder „disco“

Ein Grund: Hier treten auch internationale Sängerinnen und Sänger sowie Bands auf, die die ostdeutschen Jugendlichen zumeist nur aus dem Westfernsehen kennen. Zum Beispiel Middle of the Road, Johnny Nash, Suzi Quatro, Smokie, Slade, Hot Chocolate, um nur einige zu nennen. Gleichzeitig gehören führende DDR-Bands wie Puhdys, Kreis, City oder eben Karat zu den Interpreten.

disco: Ilja Richter moderiert die ZDF-Musiksendung (Aufnahme: 10.12.1977) / © imago/United Archives
disco: Ilja Richter moderiert die ZDF-Musiksendung (Aufnahme: 10.12.1977) / © imago/United Archives

„rund“ tritt hier in Konkurrenz zu „Beat-Club“ (1965–1972), Manfred Sexauers „Musikladen“ (ab 1972) oder Ilja Richters „disco“ (ab 1971) an, die erfolgreich im bundesdeutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen laufen. Und ebenso von jungen Menschen im Osten eingeschaltet werden – allerdings sehr zum Missfallen der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Die DDR-Massenorganisation sponsert „rund“, nimmt dafür aber auch Einfluss auf das Programm, das vor allem nicht ‚zu westlich’ sein darf.

„Hier ist rund“ auf dem Schlossdach

Die „rund“-Redaktion lässt sich davon nicht beirren und stellt auch für die Ausgabe aus Torgau einiges auf die Beine. Im Schlosshof werden gleich vier Bühnen installiert. Die größte steht vor dem Wendelstein, der berühmten spiralförmigen Treppenanlage. Die anderen vor Schönem Erker, Aussichtsturm und Schlosseingang. Überall sind Scheinwerfer montiert, liegen Kabel herum.

Kameraleute und Bühnentechniker wuseln auf dem Innenhof. Zudem werden zwei urige Holzhütten aufgebaut, in denen Bratwurst und Getränke angeboten werden. Und auf dem Schlossdach des Nordostflügels B ist ein riesiges weißes Leinentuch mit der Aufschrift „Hier ist rund“ befestigt. Um dem TV-Publikum das alles auch zu zeigen, werden extra Luftaufnahmen genehmigt, die Schloss und Innenhof von oben zeigen.

Der Aufwand für die Direktübertragung ist also enorm. Karat-Mitglied Bernd Römer weiß noch, dass sie für die Livesendung am Samstagnachmittag bereits am Donnerstag mit ihrem Wartburg und Škoda aus Berlin anreisen – „weil ein straffes Programm bevorstand“: vom Einchecken im Hotel über die Aufzeichnung der Generalprobe am Freitag bis zur Direktübertragung am Samstag.

„Wir haben drei Tage durchgemacht“

Dabei gibt’s neben dem üblichen Auftrittsstress auch eine Menge Spaß. Das ist in Torgau nicht anders. „Wir haben drei Tage durchgemacht“, sagt Römer und denkt dabei an die anderen Bands, die die Jungs um Karat-Sänger Herbert Dreilich (1942–2004) während der Proben und Auftritte wiedersehen. Denn „rund“ ist immer wie ein ‚Klassentreffen’ für die Musikerinnen und Musiker.

Karat: Gitarrist Bernd Römer (1. Reihe l.) ist damals ein Neuzugang (Aufnahme: 15.10.1976) / © imago/Gueffroy
Karat: Gitarrist Bernd Römer (1. Reihe l.) ist damals ein Neuzugang (Aufnahme: 15.10.1976) / © imago/Gueffroy

Moderiert wird die 71. Ausgabe aus der Stadt an der Elbe von Bodo Freudl und Heidi Schröder. Der 29-jährige Freudl, Typ Sonnyboy mit modischem Schnauzer und sympathischem Lächeln, ist seit 1974 Redakteur beim Fernsehen der DDR und wie seine Kollegin bereits ein bekanntes Gesicht der Jugendsendung.

Mit der Kutsche durch die Altstadt

In Torgau lassen es beide romantisch angehen: Denn sie werden am Beginn in einer Pferdekutsche über die Elbwiesen, die Elbbrücke sowie durch die Torgauer Innenstadt gefahren – und erzählen währenddessen, was Torgau so besonders macht. Dabei sind Kameraaufnahmen von der Breite Straße mit dem legendär-verrauchten Café „Wien“, vom Marktplatz mit Rathaus und Mohrenapotheke sowie von der Schlossstraße zu sehen.

Erst nach dieser kurzen Sightseeingtour fährt der Kutscher die beiden durch das Schlosstor in den Innenhof und die Live-Übertragung mit applaudierendem Publikum beginnt. Was nationale Bands betrifft, so kann sich das Musikprogramm der Torgauer „rund“-Ausgabe durchweg sehen lassen. Später wichtige Namen des DDR-Rock, -Pop und -Schlagers geben sich hier die Klinke, oder besser gesagt: das Mikro in die Hand.

Karussell, Ralf „Bummi“ Bursy, Gerd Christian

So steht die damals noch junge, 1976 gegründete Leipziger Rockgruppe Karussell zuerst auf der Bühne. Ihre Besetzung ist kurz zuvor aus der verbotenen Band Renft hervorgegangen. Karussell sind in Torgau mit „Besinnung“ und „Autostop“ vertreten. Beide Lieder sind auf dem Debütalbum „Entweder oder“ (1979) enthalten – und gelten heute als Meilensteine in der Bandgeschichte.

Nicht dem Rock, sondern dem Pop hat sich Ende der 1970er-Jahre die Gruppe Regenbogen verschrieben. 1979 gelingt dem Quintett mit „Du machst mich verliebt“ ein Hit. Daran hat auch der schnittige Frontmann und Leadsänger Ralf „Bummi“ Bursy (1956–2022) seinen Anteil. Mitte bzw. Ende der 1980er-Jahre startet Bursy solo durch und landet mehrere Singleerfolge in der DDR.

Auf die kann später auch Schlagersänger Gerd Christian verweisen. Sein Bruder Holger Biege (1952–2018) schreibt für den damals 28-jährigen Newcomer das Liebeslied „Sag ihr auch“, das er 1979 in der „rund“-Sendung singt. Allerdings nicht auf einer der vier Bühnen, sondern mitten im Publikum: an einem Tisch mit zwei jungen Torgauerinnen.

Stephan Krawczyk steht 1979 auf der Bühne

Zum nationalen Musikprogramm zählt auch die heute fast vergessene Folk-Gruppe Liedehrlich. Das Trio gründet sich 1978, singt doppelbödige Volkslieder des 19. Jahrhunderts, aber auch Selbstgeschriebenes und darf 1983 beim DDR-Plattenlabel Amiga eine LP veröffentlichen. Zu Liedehrlich gehört damals Stephan Krawczyk. Der spätere Liedermacher und eine der Symbolfiguren der DDR-Bürgerbewegung wird 1985 erst mit Berufsverbot belegt, später inhaftiert und Anfang Februar 1988 in die BRD ‚abgeschoben’.

Stephan Krawczyk: Der Liedermacher mit Ehefrau Freya Klier nach der Ausweisung (Aufnahme: 3.2.1988) / © imago/teutopress
Stephan Krawczyk: Der Liedermacher mit Ehefrau Freya Klier nach der Ausweisung (Aufnahme: 3.2.1988) / © imago/teutopress

„Ich erinnere mich noch an den beeindruckenden Schlosshof, den ich aus dem Märchenfilm ‚Dornröschen’ kannte, und zu dem das Fernsehequipment in starkem Kontrast stand“, sagt Krawczyk, der damals – 23-jährig – vor einer Gesangskarriere steht. Gewinnt er doch 1981 beim nationalen Musikwettbewerb „Chansontage der DDR“ den Hauptpreis für „hervorragende künstlerische Leistungen“.

„Lauf, Müller, lauf“ darf gesungen werden

In der „rund“-Sendung steht Liedehrlich mit dem Volkslied „Lauf, Müller, lauf“ (auch: „Es wohnt’ ein Müller an jenem Teich“) auf der Bühne. „Das Lied war ein Wunsch der Redaktion. Ein die DDR bejahendes Volkslied gab es nicht und wenn, hätten wir es nicht im Repertoire gehabt“, erinnert sich der heute 66-Jährige. Weil das Lied aber von einer Müllerstochter erzählt, die einen Edelmann abblitzen lässt und sich für einen einfachen Burschen entscheidet, darf es gesungen werden.

Liedehrlich (1983): Die LP enthält 18 Songs, darunter „Lauf, Müller, lauf“ / © Amiga
Liedehrlich (1983): Die LP enthält 18 Songs, darunter „Lauf, Müller, lauf“ / © Amiga

Im selben Jahr, 1979, verbietet die Staatsführung allerdings ein anderes Werk des Trios. Es ist das Spottlied „So geht es in Schnützelputzfingen“, mit dem der Satiriker Adolf Glaßbrenner (1810–1876) die gesellschaftlichen Zustände seiner Zeit ironisch-bissig attackierte. Die DDR-Kulturfunktionäre verstehen allerdings keinen Spaß und wollen darin ebenso Anspielungen auf die DDR-Realität erkennen. Womit sie recht haben, denn „wir wollten unsere Kritik an den Verhältnissen vor allem durch die Blume der Historizität“ äußern, so Krawczyk rückblickend.

Karat ohne „Über sieben Brücken musst du gehn“

Auch für Karat wählt allein die Redaktion um das Moderatoren-Duo Freudl und Schröder die Lieder für die „rund“-Sendung aus. Man entscheidet sich für drei Songs aus dem neuen, zweiten Album der Band: „Über sieben Brücken“ (1979). Das sind neben „Wilder Mohn“ und „He, Mama“ auch das eigentlich nicht so fernsehkompatible „Blues“, erinnert sich Mitglied Bernd Römer. Der Titelsong, Karats heute bekanntestes Lied „Über sieben Brücken musst du gehn“, gehört aber nicht dazu. Den hatte die Band schon bei einem vorherigen „rund“-Auftritt ein Jahr zuvor gesungen.

Über sieben Brücken (1979): Karat stellt in Torgau neue Songs aus der LP vor / © Amiga
Über sieben Brücken (1979): Karat stellt in Torgau neue Songs aus der LP vor / © Amiga

Obwohl sich „rund“ nicht als bloße Musiksendung sieht – der Name soll ursprünglich für R wie Rhythmus, U wie Unterhaltung, N wie Nachrichten und D wie Diskussion stehen –, sind es für das DDR-Publikum gerade die internationalen Bands sowie Sängerinnen und Sänger, auf die sehnsüchtig gewartet wird. Die Torgauer Ausgabe kann hier allerdings nicht mit ganz großen Weststars wie Bonnie Tyler („rund“, Nr. 53, 17.12.1977, in Magdeburg) oder Status Quo („rund“, Nr. 63, 11.11.1978, in Berlin) aufwarten.

Pete „Wyoming“ Bender, Gilla, Halina Frąckowiak

Vielmehr treten im Innenhof von Schloss Hartenfels ‚nur’ die österreichische Popsängerin Gilla (u. a. „Bend me, shape me“), Halina Frąckowiak aus Polen („Ein langersehnter Regen“) und der im Elsass geborene US-Sänger indianischer Abstammung Pete „Wyoming“ Bender (1943–2014) auf. Der Applaus des Torgauer Publikums hält sich deshalb in Grenzen.

Bender, der „Born to be Indian“ und „Funky Fever“ singt, war bereits 1975 durch die DDR getourt, lebt aber damals in der BRD. Für die in Westberlin erscheinende taz gilt der US-Sänger in den späteren 1980ern als „Geheimtip für politisch engagierte, richtig gute Rockmusik“. Da überrascht es eigentlich, dass er nach seinem „rund“-Auftritt von den Moderatoren nicht einmal interviewt wird.

Hier verlässt sich die Redaktion, wie in fast jeder „rund“-Sendung, lieber auf ihre – meist von der jeweiligen FDJ-Bezirksleitung – ausgesuchten Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, um sich in Torgau beispielsweise über deren Pläne und Ergebnisse für die FDJ-Aktion „DDR 30“ zu unterhalten. Der Grund: Am 7. Oktober 1979 feiert die Republik ihren 30. Geburtstag.

„rund“ verliert in der Zuschauergunst

Doch der von Musik ummantelte ‚politische Auftrag’ von „rund“ gefällt dem Live- und Fernsehpublikum immer weniger. Die Sendung verliert Ende der 1970er-Jahre rapide in der Zuschauergunst. So geht die Zahl der Stammzuschauerinnen und -zuschauer zwischen 1976 und 1982 von 42 auf 14 Prozent zurück. Der einstige Straßenfeger lockt nur noch wenige.

Ratgeber-Interviews zu Alltagsthemen, die junge Leute wirklich interessieren und die in den Anfangsjahren von „rund“ durchaus stärker vertreten sind, gibt es nur noch sporadisch. In der Torgauer Ausgabe wird wenigstens ein Volkspolizist befragt, was bei Propangasflaschen auf Campingplätzen zu beachten ist. Na, immerhin. Acht Wochen Sommerferien stehen ja damals bevor.

LVZ: „‚rund’ war große Klasse“

Erst vier Tage später, am 3. Juli 1979, berichtet auch die Torgauer Redaktion der „Leipziger Volkszeitung“ (LVZ) von der „rund“-Übertragung – und zwar in der Rubrik „Ihr Lokalreporter“ auf den „Aus dem Kreis Torgau“-Seiten. In dem kurzen Artikel finden sich ein paar statistische Eckdaten.

So begannen die technischen Vorbereitungen im Schlosshof bereits am Montag, den 25. Juni. Rund 200 Bühnenarbeiter, Dekorateure, Kameraleute und Redakteure waren dafür „von früh bis abends auf den Beinen“. Bei Hauptprobe, Generalprobe und Live-Sendung sollen jeweils rund 600 Jugendliche dabei gewesen sein. Und: „[D]aß das Programm dufte ankam, bewies der reichliche Beifall des Publikums.“ Ein Foto ist allerdings nicht abgedruckt.

Es geht also weiter rund

Heute, über vierzig Jahre später, sind sowohl „rund“ als auch die DDR längst Geschichte. Einige nationale Bands und Künstler, die damals im Schlosshof auftreten, sind allerdings der Elbestadt in gewisser Weise treu geblieben.

So ist Stephan Krawczyk nach 1990 bereits mehrfach wieder in Torgau, zum Beispiel 2017 mit seinem Liederprogramm „ZU ZWEIT – Von der Kraft der Liebe“. Karussell steht 2013 für ein umjubeltes Konzert auf einer Torgauer Bühne. Und Karat ist zuletzt am 25. Juni 2022 für einen Gig in der Elbestadt: 3.000 Fans rocken auf dem Markt mit. Es geht also weiter rund. In Torgau.

Besonderer Dank für die Unterstützung während der Recherche an Kim Voss (Deutsches Rundfunkarchiv), Isabel Peuker (Stadtarchiv Torgau), Bernd Römer (Karat) und Stephan Krawczyk (Liedehrlich).

Dieser Artikel wurde am 13. Januar 2023 aktualisiert.

TV-Sendung: „rund“ (Erstausstrahlung: 30.6.1979, 16 Uhr, DDR 1; Wiederholung: 3.7.1979, 20 Uhr, DDR 2). Die 90-minütige Sendung ist im Deutschen Rundfunkarchiv (DRA), Potsdam-Babelsberg, archiviert.

Ausschnitte:

Verwendete Quellen:


Headerfoto: Bodo Freudl und Heidi Schröder moderieren gemeinsam das Jugendmagazin „rund“ (Aufnahme: 13.7.1974) / © imago/Gueffroy

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert