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DEFA-Wochenschau „Der Augenzeuge“: Torgauer Glas für Berliner Wohnungen

Seit 1946 informierte sie über Politik, Wirtschaft und Kultur: die DEFA-Kinowochenschau „Der Augenzeuge“. Im Juni 1949 – vor 75 Jahren – schaffte es auch ein bekannter Betrieb aus Torgau in eine Ausgabe.

Die Glashütte in Torgau gehört Ende der 1940er-Jahre zu den Vorzeigeunternehmen. In der überregionalen Presse, vor allem in Berlin verlegten Tageszeitungen, wird oft über die größte Glasfabrik in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) berichtet. Sie habe, so das „Neue Deutschland“ oder die „Neue Zeit“, den Produktionsplan für 1949 bereits am 22. November „vorfristig erfüllt“. Und: „Es wurden bisher in diesem Jahr 4,2 Mill. qm Fensterglas hergestellt.“

„Einen fünften Winter hinter Pappfenstern?“

Das wird auch dringend gebraucht. Denn vier Jahre nach Kriegsende ist die Lage in Großstädten wie Berlin wegen der „ungeheuren Kriegsschäden“, so die „Berliner Zeitung“, immer noch angespannt. Das im Ostteil der Viersektorenstadt ansässige Blatt fragt deshalb nicht ohne Grund im Oktober 1949: „Einen fünften Winter hinter Pappfenstern? Wie steht es mit dem Fensterglas?“.

Neben den drei volkseigenen Flachglasbetrieben in der SBZ (Ußmannsdorf/Oberlausitz, Weißwasser, Waldau/Lichtenau) ruhen deshalb die Hoffnungen auf die damals noch privat geführte Glashütte in Torgau am Repitzer Weg.

DEFA-Wochenschau „Der Augenzeuge“ (1949/22): Verpackung von Torgauer Fensterglas mit Aufschrift „Berlin“ / Foto: DEFA-Stiftung/PROGRESS Filmverleih
DEFA-Wochenschau „Der Augenzeuge“ (1949/22): Verpackung von Torgauer Fensterglas mit Aufschrift „Berlin“ / Foto: DEFA-Stiftung/PROGRESS Filmverleih

Obwohl das Unternehmen noch nicht verstaatlicht und als Auslandsbesitz treuhänderisch verwaltet ist, schafft es die Torgauer Glashütte im Juni 1949 in die Kinowochenschau „Der Augenzeuge“ (Nr. 1949/22). Diese wird von der Deutsche Film-AG, kurz: DEFA, seit 1946 wöchentlich produziert.

Zwar soll „Der Augenzeuge“ zuvorderst den Sozialismus propagieren, aber die Sowjetische Besatzungsmacht (die alle Inhalte absegnen muss) lässt den Macherinnen und Machern – zumindest am Anfang – viel Spielraum für eigene Ideen.

„Berlin der größte Kunde dieses Werkes“

Der zweiminütige Beitrag aus Torgau zeigt, wie in den Produktionshallen Flachglas – das spätere Fensterglas – hergestellt wird. „Ein Gemisch von Sand und Soda und der Glasbruch“, so der Sprecher, „werden im Ofen bei 1.000 Grad zu Glas geschmolzen.“ Danach schwenkt die Kamera über eine Schmelzanlage und blickt in einen Ofen („Mehrere Walzen ziehen die Glasschmelze durch einen zwei bis drei Zentimeter breiten und zwei Meter langen Spalt in die fertige Form“).

Fertig hergestellte, metergroße Glasscheiben werden von jungen Arbeitern routiniert auf Transportgestelle gehievt und für die Viersektorenstadt verpackt. Denn: „Seit dem Frühjahr dieses Jahres ist Berlin der größte Kunde dieses Werkes“, weiß der Sprecher.

Endlich wieder helle Räume für viele Berliner

Straßenbahnwagen im Ostteil Berlins sollen als erste die neuen Glasscheiben erhalten haben. Und: „Die Wohnhäuser, die jetzt schon mehrere Jahre mit Pappe und Holz vernagelt waren, sind die nächsten Anwärter“, so eine Sprecherin. Endlich wieder helle Räume für viele Berliner, heißt es euphorisch. Wo sich die Häuser im sowjetischen Sektor der Stadt befinden, in denen Glaser und Fensterbauer neue Scheiben einsetzen, ist in der Wochenschau allerdings nicht auszumachen.

Später, in den 1960er-Jahren, entwickelt sich die Glashütte Torgau als Flachglaskombinat zum wichtigsten Industrieglasstandort der DDR. Daran erinnert im Jahr 2020 auch eine Sonderausstellung des GlasCampus Torgau und des Stadt- und Kulturgeschichtlichen Museum Torgau mit dem Titel „Von Mensch & Maschinen – Torgauer Industriegeschichte“.

Besonderer Dank für die Unterstützung während der Recherche an Sabine Söhner (DEFA-Stiftung) und Kerstin Lommatzsch (PROGRESS Filmverleih).

Verwendete Quellen:

  • Der Augenzeuge (SBZ/D 1949/22), 14 Min., Schwarz-Weiß, Dokumentarfilm. In: DEFA-Filmdatenbank (abgerufen: 22.3.2024)
  • Zukunft auf traditionsreichem Grund. Der GlasCampus präsentiert sich im Rahmen der Sonderausstellung zur Torgauer Industriegeschichte. In: GlasCampus Torgau (abgerufen: 22.3.2024)
  • G. B.: Einen fünften Winter hinter Pappfenstern? Wie steht es mit dem Fensterglas? / Offene Antwort auf eine immer wieder gestellte Frage. In: Berliner Zeitung 5 (1949), Nr. 244, 18.10.1949, S. 6.
  • [o. A.]: Rund um den Interzonenhandel. In: Neue Zeit. Tageszeitung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands 5 (1949), Nr. 279, 29.11.1949, S. 4.
  • [o. A.]: Fensterglas-Übersoll. In: Berliner Zeitung 5 (1949), Nr. 83, 8.4.1949, S. 5.
  • Zschunke, M.: Glashütte Torgau GmbH. In: Deutsche Digitale Bibliothek (abgerufen: 22.3.2024)


Headerfoto: DEFA-Wochenschau „Der Augenzeuge“ (1949/22): Verpackung von Torgauer Fensterglas mit Aufschrift „Berlin“ / Foto: DEFA-Stiftung/PROGRESS Filmverleih

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