Sie haben sich über Generationen als Familienunternehmen behauptet: die Gassmanns aus Torgau und ihre Marionettenbühne. 1985 erzählen sie in einer DDR-Doku über Höhen und Tiefen ihres Berufslebens.
Einst fuhren sie mit ihren Wohn- und Packwagen von Ort zu Ort, von Gaststätte zu Gaststätte: die Wandermarionettentheater. Auf dem Land und in Kleinstädten, ohne festes Kino oder Theater, erzählten sie auf mobiler Bühne ihre Geschichten – für Kinder, aber auch für ein erwachsenes Publikum.
Dabei waren die Wandermarionettentheater nirgendwo so populär wie in und um Sachsen. Gut 150 soll es um 1900 gegeben haben. Zu den bekanntesten fahrenden Puppenspielern gehört im 20. Jahrhundert auch der (Wahl-)Torgauer Alfred Gassmann (1907–1994).
Er entstammt einer der ältesten Marionettenspielerfamilien und gilt schon zu Lebzeiten als Multitalent: So führt er die Marionetten auf der Bühne, entwirft und baut Figuren, malt Dekorationen, kümmert sich um die Beleuchtung, schreibt und inszeniert Stücke.
Alfred Gassmanns Lebensgeschichte
All das kommt nicht von ungefähr: Schon als Zehnjähriger – das war 1918 – spielt er mit im Puppentheater seines Vaters Ewald Gassmann (1872–1942). Mit 16 bringt er bereits allein Stücke auf die Marionettenbühne und arbeitet als Gehilfe beim Vater.


Von 1934 bis in die 1980er-Jahre leitet er dann seine eigene Marionettenbühne – mit allen beruflichen sowie privaten Höhen und Tiefen, die die Zeit und das Leben mit sich bringen: Krieg, Neuanfang, früher Tod der Ehefrau und vor allem die Schwierigkeiten, ein privates Puppentheater in der DDR zu führen.
„Gassmann’s Marionettenbühne“ von 1985
Darüber erzählt der fast 79-Jährige in der Dokumentation „Gassmann’s Marionettenbühne“, die der Verband der Theaterschaffenden der DDR im Jahr 1985 zusammen mit dem Staatlichen Filmarchiv der DDR produziert und die im Digitalen Lesesaal des Bundesarchivs abrufbar ist.
Der knapp halbstündige Film gehört zu einer zehnteiligen Dokumentation über das „Traditionelle Volkstheater“ in der DDR, in der mehrere private Puppenbühnen vorgestellt und Brauchtum sowie heimische Volkskunst positiv herausgestellt werden.
Ob die Reihe auch die Verbundenheit mit der sozialistischen Heimat vertiefen soll – in einer Zeit, in der immer mehr DDR-Bürger ihr Land verlassen –, bleibt offen. Dieser Eindruck drängt sich allerdings ein wenig auf.
Torgauer Markt und Klub der Volkssolidarität
Gedreht ist der Film in Torgau, und – wie aus den Kamerabildern hervorgeht – anfangs in seinem Haus mit Puppenwerkstatt, das sich im oberen Drittel der Neustraße befunden haben muss. Alfred Gassmann kleidet gerade Marionetten für ein Bühnenstück über den erzgebirgischen Volkshelden Karl Stülpner (auch: Stülpner-Karl, 1762–1841) an, den die DDR oft „Anwalt der Armen“ nennt (vgl. Thieme 1987, S. 13) und der deshalb auf den (Puppen-)Bühnen kein Unbekannter ist.


Das historische Stück führt Gassmann später mit seiner Familie im Torgauer „Klub der Volkssolidarität“ vor Publikum auf. Der Treffpunkt für Rentnerinnen und Rentner befindet sich zu DDR-Zeiten vorübergehend (1975–1988) im Hotel „Goldener Anker“ am Markt, den die Kamera vom Standpunkt des Hotels aufnimmt. Das sanierte Äußere des Gebäudes mit vergoldetem Schriftzug selbst ist nicht gezeigt (offenbar um die räumliche Zwischenlösung zu verbergen), wohl aber Innenaufnahmen, in denen Gassmann mit Tochter, Söhnen, Enkeltochter und Urenkeln die mobile Marionettenbühne aufbauen und bespielen.
Politisch unbequemer Kopf schreibt Drehbuch
Das Drehbuch für die Doku schreibt der Schauspieler, Autor und Regisseur Holm Henning Freier (*1949), den das Fernsehpublikum z. B. aus dem antifaschistischen DEFA-Film „Die große Reise der Agathe Schweigert“ (DDR 1972) kennt. Hier spielt er an der Seite der Volksschauspielerin Helga Göring (1922–2010) den Sohn der Titelfigur.



Freier, ein politisch unbequemer Kopf, der in der DDR öfters aneckt (vgl. Schulz 2024), ist bereits mit dem Puppenspiel vertraut. So arbeitet er in den 1980er-Jahren selbst als Gast-Regisseur z. B. am Neubrandenburger Puppentheater (vgl. Schreiber 1987, S. 4). Für die fachliche Beratung in der Doku holt er sich den Dramaturgen des Puppentheaters Berlin, Kurt Menard, ins Boot.
„Man tat uns auch so tüchtje Knüppel mankt de Füße werfen“
Als der Regisseur – aus dem Off – Alfred Gassmann in der Doku fragt, ob sich Repertoire und Spielweise nach 1945 änderten, verneint der Puppenspieler. Humorvolle Stücke, wie „Im weißen Rössl“ oder „Der Vogelhändler“, stehen damals auf dem Programm, so Gassmann, also alles „was jetzt nun besser ging“.

Doch der Schein trügt. Als Gassmanns Tochter zu Wort kommt, erzählt sie offen über schlechte Erfahrungen, die die Familie später in der DDR macht („Man tat uns auch so tüchtje Knüppel mankt de Füße werfen“). Besonders der Kampf um die jährliche Lizenz, die Voraussetzung für ihre Arbeit war, zermürbt die Gassmanns immer wieder aufs Neue.
Das Ende einer Familientradition
Denn die privaten Bühnen sind den DDR-Kulturfunktionären lange ein Dorn im Auge (was aber im Film unerwähnt bleibt). Jetzt, so Gassmanns Tochter, habe sich zwar vieles im Kulturellen verändert und gelockert (gemeint sind die staatlichen Auflagen), doch die Familie hat ihre Marionetten hauptberuflich schon lange an den Nagel gehängt. Heute geht die mobile Bühne nicht mehr auf Reise. Tochter und Enkeltochter arbeiten mittlerweile als Köchin und die beiden Söhne sind Kraftfahrer.

MEHR ZUM THEMA
Puppenbühne Lorenz
Sterl’s Marionetten-Varieté
Ritschers Künstler-Marionettenspiele
Hans Frannek Künstler-Puppenspiele
Traditionelles Marionettentheater: Kurt Dombrowsky
Puppenspieler Carl Schröder
Das Marionettenspiel hat die Familie dennoch nicht verlernt, wie sie bei der „Stülpner“-Aufführung im „Klub der Volkssolidarität“ trefflich zeigt. Die Geschichte über jenen Räuber, der ebenso den Mächtigen trotzte und ihnen ein Schnippchen schlug, ist deshalb auch ein Stück weit eine Geschichte über Alfred Gassmann selbst.
Film: „Gassmann’s Marionettenbühne“ (DDR, 1985, Regie: Holm Henning Freier). Ist im Digitalen Lesesaal des Bundesarchivs abrufbar.
Film-Credits:
- Buch/Regie: Holm Henning Freier
- Fachberatung: Kurt Menard
- Kamera: Peter Mittwoch
- Ton: Werner Philipp
- Schnitt: Gisela Tammert, Ina Kiausch
- Produktionsjahr: 1985
- Produktion: Staatliche Filmdokumentation beim Staatlichen Filmarchiv der DDR SFD
- Laufzeit: 24:08 Minuten
Verwendete Quellen:
- Geschichte des Wandermarionettentheaters. In: Förderverein Mitteldeutsches Wandermarionettentheater e.V. (abgerufen: 8.12.2025)
- Gassmann, Alfred (1907–1994), Marionettenspieler. In: SKD | Online-Collection (abgerufen: 23.11.2025)
- Hotel Goldener Anker: Historie des Goldenen Ankers (abgerufen: 23.11.2025)
- Schreiber, Hans Peter: Spiel um Liebe und Eifersucht. Lorca-Einakter auf Neubrandenburger Puppenbühne. In: Neues Deutschland 42 (1987), Nr. 48, 26.2.1987, S. 4.
- Schulz, Susanne: Helga Görings Filmsohn feiert auch schon seinen 75. Geburtstag. In: Nordkurier (vom: 14.9.2024, abgerufen: 22.11.2025)
- Thieme, Gabi: Sohn der Wälder – Anwalt der Armen. Vor 225 Jahren wurde der erzgebirgische Volksheld Karl Stülpner geboren. In: Neues Deutschland 42 (1987), Nr. 233, 3./4.10.1987, S. 13.
- [o. A.]: Uraufführung im Puppentheater. In: Neue Zeit 32 (1976), Nr. 294, 10.12.1976, S. 4.
Weiterführende Literatur:
Bernstengel, Olaf/Rebehn, Lars: Volkstheater an Fäden. Vom Massenmedium zum musealen Objekt – sächsisches Marionettentheater im 20. Jahrhundert. Halle (Saale), 2007
Headerfoto: Gassmanns Marionettenbühne (DDR 1985): Familie Gassmann auf dem Torgauer Markt im Jahr 1985 (Quelle: Bundesarchiv/Screenshot)
